Warum 667?
One step ahead of the devil
In der Offenbarung des Johannes findet sich erstmals die Zahl 666: »Hier braucht man Kenntnis. Wer Verstand hat, berechne den Zahlenwert des Tieres. Denn es ist die Zahl eines Menschennamens; seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig.« (Offb. 13, 18) Näher eingegangen wird auf das »Wesen mit 10 Hörnern und 7 Köpfen« nicht, man vermutet ein Zahlenspiel, das heute nicht mehr nachvollziehbar scheint – Zahlenspiele mit dem ›Wert‹ des Buchstabens waren in der Antike beliebt: Ein antikes Graffito an einer Hauswand in der Türkei schrieb: »Ich liebe die, deren Zahl 865 ist.« Die Zahl ergibt sich aus der Addition des Wertes aller Buchstaben, der Wert eines Buchstabens entspricht seiner Position in der Reihenfolge im jeweiligen Alphabet. Entsprechend zahlreich sind die möglichen Lösungen. Spekulationen nahmen Nero oder andere römische Kaiser ins Visier, die als Gegner des noch jungen Christentums (um 100 n. Chr.) und damit als ›Tier‹ in Frage kommen. Nero war allerdings 68 n.Chr. gestorben, es gab aber eine Verschwörungstheorie, die besagte, er sei gar nicht tot und würde zurückkehren als Nero Redivivus und die Herrschaft über das Römische Reich wieder an sich reißen. Die Historiker gehen derzeit nicht davon aus, dass das Rätsel um die Bedeutung der 666 eines Tages eindeutig gelöst werden kann.
›666, the number of the beast!‹ schreit uns seit 1982 die Heavy Metal Band Iron Maiden entgegen. Ein Song, der sich besonders gut am Steuer eines 928 von einer ausgeleierten Kassette und mit maximaler Lautstärke bei 220 km/h auf der linken Spur der Autobahn hören lässt. 666 – die Nummer des Satans. Auf derselben Platte findet sich auch der Song ›Run to the hills‹, run for your life.
Aber zum Thema: Am 23. März 2019, einem Samstag, hatte Michele sein elektrisch angetriebenes Monoboard bei mir gelassen, eine Art Skateboard mit einem einzigen dicken Reifen in der Mitte des Boards, das durch Gewichtsverlagerung gesteuert wird, da er es nicht neben seinen zwei Kindern und weiterem Gepäck nachhause tragen wollte. Gern behielt ich es bei mir und gab nur zu bedenken: »Du musst damit rechnen, dass ich damit fahre.« Was ich tat. Etwa eine Stunde lang bereitete mir das Board großen Genuss, ich wurde immer geschmeidiger in der Steuerung, ich wurde sicherer, fuhr schneller.
Wann ich im Krankenhaus wieder zu Bewusstsein kam, kann ich nicht sagen. Etwa acht Tage später wurde mir bewusst, dass ich im Krankenhaus lag und einen Unfall gehabt haben musste. An die Tage dazwischen habe ich keine Erinnerung. Ich war gestürzt, hatte mich überschlagen, hatte mir beim Sturz die Stirnpartie meines Schädels zertrümmert und mir einen langen Riss oben auf dem Schädel und am Hinterkopf zugezogen. Seltsamerweise blieb die Haut nahezu unverletzt. Ich lag 90 Minuten auf der Straße, zuerst hatte sich ein Unfallarzt, der zufällig bei Nachbarn zu Besuch war, um mich bemüht. Dann kümmerten sich zwei Sanitäter um mich, die sich aber rasch von der Schwere meiner Verletzung überfordert fühlten. Der erst jetzt gerufene Notarzt stabilisierte mich schließlich so weit, dass ich ins Krankenhaus gebracht werden konnte. Derweil strömte mir das Blut aus meinen Ohren, die Hirnblutung hatte einen Druck erzeugt, der die Trommelfelle zum Platzen gebracht hatte. Nach zwei Stunden kam ich im Krankenhaus in Hoechst an, mein zerschmetterter Schädel wurde durchleuchtet, meiner Familie bald darauf mitgeteilt, sie sollten sich verabschieden, es stünde schlecht. Währenddessen beseitigten Nachbarn »der Kinder wegen« meine Blutlache mit Gießkannen von der Straße.
Nach dem, was man mir später erzählte, war ich einen Tag nach dem Unfall – nein, nicht wach, nicht bei Bewusstsein – aber ansprechbar. Auf die Frage der Schwester hin wünschte ich mir eine FAZ und ein Vollkornbrötchen zum Frühstück und wollte dann ins Büro gehen und riss mir daher die Versorgungsschläuche aus Nase und Rachen. Man hielt mich zurück und legte mich vorsorglich für mehrere Tage ins künstliche Koma, das Brötchen blieb ungegessen, die Zeitung blieb ungelesen, wie auch in den nachfolgenden Tagen. Wann und wie mir bewusst wurde, was geschehen war, kann ich nicht sagen. Meine Mutter beklagte später, dass mehrere Frauen aus meiner Vergangenheit an meinem Bett erschienen waren. Ich hatte ihre Anwesenheit dankbar bemerkt, aber auch zur Kenntnis genommen, welche Frauen nicht gekommen waren. Von Tag zu Tag kam ich mehr zu Bewusstsein, aber ich war körperlich extrem schwach, konnte kaum ein paar Schritte gehen. Als ich nach etwa zehn Tagen so weit stabilisiert war, dass ich nicht mehr in akuter Lebensgefahr schwebte, kehrten auch meine Lebensgeister zurück: Ich plante mein persönliches Redivivus. Die Ärzte hatten vier Monate Rehabilitation in einer Klinik empfohlen, aber ich erläuterte, dass es danach mein Büro, meine berufliche Existenz nicht mehr geben würde und ich am kommenden Wochenende nachhause und am Montag darauf ins Büro gehen würde.
Ich war so schwach, dass es sich anfühlte wie ein Vorgeschmack aufs hohe Alter: Wenn ich etwas so Einfaches wollte, wie aufstehen oder gehen, fand ich die Kraft dafür nicht. In den kommenden Monaten war ich beim Aufwachen am Montag oft verzweifelt, weil ich nicht wusste, wie ich die Anforderungen des Tages, der bevorstehenden Woche bewältigen sollte. Der von mir konsultierte Neurologe zuckte mit den Achseln, dieser Zustand nach einer solch drastischen Verletzung könne Monate andauern, Jahre oder auch für den Rest meines Lebens. Zu allem Überfluss wurde mir der Verlust meiner Sehkraft angedroht, wenn der Druck im Innern meines Schädels nicht bald sinken würde, da dieser hohe Druck den Sehnerv irreparabel schädigen würde. Schwere Stunden. Wenn ich in den kommenden Wochen mit einem meiner Söhne spazieren ging, musste ich mich immer wieder setzen. Ich musste vorsichtig gehen, da mir die Ärzte prophezeit hatten, ein weiterer, auch leichter Sturz auf den Kopf könne zu neuen Blutungen führen und mein Ende bedeuten.
Erst nach knapp vier Monaten setzte eine spürbare Veränderung, eine Verbesserung ein. Meine Kräfte kehrten langsam zurück. Die Bedrohung meines Augenlichts war nicht mehr akut, der entstandene Schaden schien akzeptabel. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich nichts mehr roch. Nicht das Haar meines Sohnes Leonard, nicht das Essen auf dem Teller vor mir, nicht das kleine Glas Weißwein, das ich mir nun gelegentlich gönnte. Wie mir mein HNO-Arzt erläuterte, rissen bei einem solchen Sturz die Riechnerven ab, da das Hirn sich sehr stark im Schädel bewegt und die Nerven zur Nase durch eine poröse Knochenwand führen. Meine Frage nach einer Therapie, die das Phänomen aufheben oder zumindest reduzieren würde, wurde mit einem Kopfschütteln beantwortet.
Heute weiß ich, dass ich trotz aller bleibenden Schäden Glück gehabt habe. Ich bin noch da. Ich kann noch immer meine Söhne in den Arm nehmen. Andere müssen nach solchen Verletzungen das Reden, das Laufen, das Denken wieder neu erlernen. Das blieb mir erspart. Aber wenn man schon einmal am Ufer des Styx gestanden hat, ist man nicht mehr derselbe. Wir alle wissen, dass wir sterben müssen. Aber die Erfahrung des Todes, der nah gewesen ist, hat bei mir zu einer anderen Sicht auf das Leben geführt. Ich bin nun wacher, klarer, deutlicher. Noch immer nicht genug im Hier und Jetzt, aber noch ist ja Zeit. Für den Moment bin ich dem Tod entronnen, ich bin »one step ahead of the devil« und das verdeutlicht die Zahl 667, die seither mein Leitmotiv ist.
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